Der Priester als brüderlicher Weggefährte der Gläubigen – ein Mensch mit einem „hörenden Herzen“
(1 Kö 3,5 ff)

Am 29. Juni 2008, dem Fest der Apostel Petrus und Paulus, bin ich vor genau 40 Jahren durch den damaligen Bischof Simon Konrad Landersdorfer im Hohen Dom zu Passau zum Priester geweiht worden. Aus diesem Anlass möchte ich über Wesen und Eigenart des priesterlichen Dienstes nachdenken, sein geistliches Profil, aber auch seine Verankerung inmitten der Gemeinschaft der Glaubenden.

Der priesterliche Dienst
Das 2. Vatikanische Konzil hat das Wesen des priesterlichen Dienstes zentral in der Verkündigung des Wortes Gottes verankert. Somit ist der Priester in erster Linie Zeuge der Heilsbotschaft Jesu Christi. Das umfasst die reine Wortverkündigung in der Predigt ebenso wie andere Formen der Glaubensunterweisung, insbesondere aber die intensiven Formen der Heilsvermittlung in den Sakramenten, zumal in der Eucharistie, in denen uns die helfende und heilende Liebe Gottes begegnet. Wenn es richtig ist, das Wesen des priesterlichen Dienstes von der Verkündigung des Wortes Gottes her grundgelegt zu sehen, dann hat das auch Auswirkungen auf das priesterliche Ethos bzw. auf die spirituelle Ausrichtung seines Lebens. Es heißt: Der Priester selbst muss Stand fassen im Wort der Christusbotschaft, muss Stand fassen in der Wahrheit, die immer zum Ereignis wird, wenn dieses Wort ausgesprochen und vernommen wird. Die Aussprache dieses Wortes wird umso wirksamer und überzeugender sein, je tiefer der Priester selbst von diesem Wort erfasst, je mehr er selbst ein Mensch mit einem „hörenden Herzen“ ist.

Der Priester: Ein Mensch mit einem „hörenden Herzen“
Ich glaube, dass das Bild des Menschen mit einem „hörenden Herzen“ gerade in unserer Zeit ein gutes Leitbild für den Priester ist. Die Bitte um ein „hörendes Herz“, die einst der junge König Salomo an Gott gerichtet hat – nicht aber die Bitte um Macht, Reichtum und langes Leben – diese Bitte muss auch immer wieder unsere Bitte an Gott sein. Ein „hörendes Herz“, das ist mehr als der Wunsch nach kluger Erkenntnis; es ist die Offenheit des ganzen Lebens auf die Wahrheit hin, es ist die Durchlässigkeit für den einfallenden Strahl ihres Lichtes, es ist die Fähigkeit, die Wahrheit als das große Geschenk Gottes annehmen zu können, sie als „das Wort“ schlechthin zu erkennen, das aus der Flut der vielen Wörter herausragt, als Fels und tragender Grund, das mehr ist als auflodender Flammenwurf und Sternenstrich, Fundament des Vertrauens, auf das sich das Leben gründen und bauen lässt.

Als Priester ein Mensch mit einem „hörenden Herzen“ zu sein, bedeutet aber auch, ein „hörendes Herz“ zu haben für die Menschen, für die er bestellt ist und mit denen er solidarisch und brüderlich den Weg des Glaubens geht. „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst“ der Menschen – wie es ein prägnantes Programmwort des Konzils sagt – werden auch die Freude und Sorge des Priesters sein, der sich als Hörender und Mitgehender versteht. Diese Offenheit des Priesters für die Freude der Fröhlichen und die Tränen der Trauernden ergibt sich auch aus dem Wort, das das Konzil in seinem Dekret über Dienst und Leben der Priester ausgesprochen hat: „Die Priester werden aus der Reihe der Menschen genommen und für die Anliegen der Menschen bei Gott bestellt ... allen begegnen sie deshalb als ihren Brüdern. Auch der Herr Jesus, Gottes Sohn, der von Gott zu den Menschen gesandt wurde, lebte ja mit uns zusammen und wollte in allem seinen Brüdern gleich werden ... ihn haben schon die Hl. Apostel nachgeahmt; Paulus, der als Lehrer der Heiden für das Evangelium erwählt war (Rö 1,1), bezeugt ausdrücklich, er sei allen alles geworden, um alle zu retten“. (Nr. 3)

Brüderlicher Weggefährte der Gläubigen
Gerade die Menschen in unserer Zeit, die jede autoritäre Anmaßung oder klerikale Bevormundung mit Recht zurückweisen, sind besonders dankbar dafür, wenn sie in ihrem Seelsorger, dem brüderlichen, solidarischen, humanen Menschen begegnen, dem wirklich am Wohl und Wehe der Menschen etwas liegt. K. Rahner, der große Theologe des vergangenen Jahrhunderts sagt zurecht: „Man erwartet vom Priester heute in einer besonderen Weise, dass er, ohne pathetisch oder sentimental oder indiskret oder respektlos zu werden, sich irgendwie als der brüderliche Gefährte der Last des Glaubens der anderen fühlt und erweist“. Dieser Geist der Brüderlichkeit wird sich auch in der Verkündigung und im Lebensvollzug des Priesters zu erkennen geben.

Miteinander die Lasten tragen
Auch als Priester brauchen wir nicht so zu tun, als ob unser Glaube unangefochten wie die feste Burg auf unerschütterlichem Felsen steht. Auch der Glaube des Priesters hat Wegcharakter, ist gezeichnet von der Mühsal des Glaubens, von der Dunkelheit und geheimnisvollen Verhülltheit Gottes und seines Willens. Freilich brauchen wir uns deshalb – wie K. Rahner einmal drastisch formuliert hat – „die Bekümmertheit und Last des Glaubens nicht künstlich anzuknobeln“. Aber die Gemeinde darf schon auch spüren, dass wir nicht unangefochten und im Sinne der stoischen Leidenschaftslosigkeit immer souverän über den Dingen stehen. Gerade dann, wenn wir als Priester und Seelsorger vor und inmitten der Gemeinde stehen, als brüderliche Weggefährten, wird der Gemeinde bewusst werden, wie elementar Priester und Gemeinde in ihrem Glauben und Leben aufeinander angewiesen sind. Zwischen Priester und Gemeinde besteht eine unlösbare Schicksalsgemeinschaft, aus der niemand aussteigen kann. Der Verantwortung des Priesters für die Gemeinde entspricht auch die Verantwortung der Gemeinde für ihren Seelsorger. Der Priester ist nicht – und heute schon gar nicht – ein einsamer Einzelkämpfer, sondern er braucht die lebensnotwendige Solidarität und Mitverantwortung der Gläubigen, ohne die er auf verlorenem Posten steht und sich auch menschlich allzu schnell verschleißen wird. Da die Kirche nach dem Verständnis des Konzils nicht zuerst eine hierarchisch gegliederte Großorganisation mit einem klaren Oben und Unten ist, sondern vielmehr die lebendige Communio = die Gemeinschaft der Glaubenden, dann muss sie sich gerade im wirklichen praktizierten Miteinander und Füreinander aller in dieser Communio bewähren.

Das „Hören“ der Gemeinde
Insofern gilt das Wort vom „hörenden Herzen“ auch als Leitwort für die Glieder der Gemeinde. – Jede und jeder Glaubende ist gerufen, mit dem „Herzen zu hören“, also mit der Offenheit seines ganzen Wesens zu hören, was der Geist Gottes als die Seele dieser Gemeinschaft, dem einzelnen sagen will, was seine Aufgabe ist, wozu er in ganz spezifischer Weise gesandt ist, zum lebendigen Aufbau der Gemeinde beizutragen. Mit dem „Herzen zu hören“ bedeutet, nicht auf Distanz zu bleiben, sondern sich innerlich ansprechen und anrühren zu lassen; mit dem „Herzen zu hören“ bedeutet, sich mit dem Herzen gebunden fühlen, den Priester mit dem eigenen Glauben und durch das persönliche Mitwirken zu tragen und zu stützen.

Wenn dieses Aufeinander-Hören gelingt und in diesem Klima des Vertrauens und der gegenseitigen Wertschätzung die verschiedenen Geistesgaben, die jede und jeder in dieser Gemeinschaft einbringt, zur Entfaltung kommen, dann können wir gemeinsam die Wahrheit zum Leuchten bringen, dann wird Christus durch uns als die große Sonne in unsere Welt hineinstrahlen können, und uns „aufrichten, stärken und auf festen Grund stellen“ (1 Petr 5,10 b).

Domdekan Prälat Prof. Dr. Otto Mochti

Zum Seitenanfang