Glück und Segen

Warum wünschen wir uns eigentlich ein glückliches Neues Jahr? Kommt es daher, dass wir nie zufrieden sind mit dem, was wir sind? Treibt uns ein Verlangen um nach Glück, weil wir spüren, dass es etwas gibt, das größer ist als das, was wir selber vorfinden und machen können? Die Sehnsucht nach Glück macht deutlich: Das Glück liegt nicht einfach auf der Straße. Wir müssen unser Glück suchen. Und dies manchmal über den Weg von Opfer und Verzicht, von Widerständen und Enttäuschungen.
Vielleicht kennen Sie die russische Legende von den zwei Mönchen. Sie lasen in einem alten Weisheitsbuch, dass am Ende der Welt ein Ort existiere, wo das wahre Glück zu finden sei. Ein Ort, wo Himmel und Erde sich berühren. So machten sie sich auf den Weg, durchwanderten die Welt, bestanden unzählige Gefahren, erlitten viele Entbehrungen, überwanden alle Versuchungen, ihre Suche aufzugeben. Eine Tür sei dort, so hatten sie gelesen, wo man nur anklopfen und eintreten müsse, um sich bei Gott und damit im vollkommenen Glück zu befinden. Als sie schließlich ihr Ziel erreichten und eintraten, da fand sich jeder in seiner Klosterzelle wieder. Da begriffen sie: Der Ort, wo Himmel und Erde sich berühren, wo das große Glück zu finden ist, befindet sich nicht am Ende der Welt, sondern auf der Erde, an der Stelle, die uns Gott zugewiesen hat.
Die Legende gibt einen wichtigen Hinweis für unsere Suche nach dem Glück. Wir neigen dazu, das Glück da zu suchen, wo wir nicht sind, und bei dem, was wir nicht haben. Das führt kaum zum Ziel. Eher führt dieser Versuch zu Enttäuschung und Neid. Am Ende vielleicht sogar zu Aggression und Depression. Viel entscheidender ist es, auf das zu achten, was in unsrer Hand liegt. Dass wir uns selber besser kennen und annehmen lernen, so wie wir nun einmal sind mit unseren Stärken und Schwächen. Dass wir danach trachten, die zu werden, die wir sein können. Dass wir unsere eigenen Begabungen entdecken und entfalten. Das Lebensglück hängt nicht an hochgesteckten Ansprüchen, sondern daran, ob wir den Schatz finden, der in unserem Leben verborgen ist.
Für Christen hat das Glück einen Namen: Gott. Wir sind der Überzeugung: Das Glück des Menschen hat mit Gott zu tun. Er gibt unserem Leben Sinn und Ziel. Er steht hinter uns. Er hat uns gewollt und geschaffen. Er nimmt uns an, wie wir sind. Er weiß um das, was wir zum Leben brauchen. Er liebt uns. Auf Grund dieser Überzeugung werden unsere Glückvorstellungen und Glückwünsche relativiert. Gott hat uns als sein Abbild erschaffen. Er hat keinen Pfusch mit uns gemacht. Er hat uns die entsprechenden Fähigkeiten mitgegeben für die Pläne, die er mit uns hat. Er hält das Glück für uns bereit. So dient es unserem Wohl, wenn wir am Platz unseres Lebens das Glück suchen. Wie die beiden Mönche werden wir staunend erkennen: Das Glück ist nicht irgendwo, sondern an dem Ort zu finden, den Gott uns zugewiesen hat.
Maria ist uns dafür ein gutes Vorbild. Ihre Gottesmutterschaft feiern wir am ersten Tag des Jahres. Sie hat Ihr Glück in ihrem bescheidenen Leben und in dem unbedeutenden Ort Naza-ret gefunden. Auch sie lernte in ihrem Leben Höhen und Tiefen kennen. Ihre Erwählung brachte ihr nicht nur Freude und Glück. Sie wurde von Prüfungen, von Leid und Schmerz nicht verschont. Und dennoch lässt sich über ihr Leben sagen, was sie voll Glück im Magni-fikat bekennt: „Meine Seele preist die Größe des Herrn, und mein Geist jubelt über Gott, meinen Retter. Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut. Siehe, von nun an preisen mich selig alle Geschlechter.”

In diesem Sinne wünsche ich allen Leserinnen und Lesern von Glaube und Heimat die Erfahrung von Gottes Nähe im neuen Jahr und das von ihm kommende Glück an dem Ort, wo jede und jeden das Leben hingestellt hat.

Ihr Alois Ehrl,
Domkapitular, 2. Vorsitzender
des Vereins „Glaube und Heimat“

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